Brooksley Born warnte schon 1998 vergeblich vor der Gefahr einer Finanzkrise – jetzt soll sie deren Ursachen erforschen
Für Jan
Von Nikolaus Piper
Es gibt nicht mehr viele Helden in der Finanzwelt, aber vielleicht eine Heldin. Sie heißt Brooksley E. Born, ist 69 Jahre alt und Mitglied der Financial Crisis Inquiry Commission (FCIC), jener Kommission also, die der US-Kongress eingesetzt hat, um die Ursachen der Finanzkrise zu untersuchen. Die pensionierte Anwältin gehört zu den wenigen Menschen auf der Welt, die mit Fug und Recht behaupten können, dass die große Krise verhindert worden wäre, hätte man rechtzeitig auf sie gehört.
Die Geschichte beginnt 1996. Born, geboren und aufgewachsen in San Francisco, war damals Partnerin der renommierten Kanzlei Arnold & Porter in Washington. Einen Namen hatte sie sich als Kämpferin gegen die Diskriminierung von Frauen gemacht. Sie war nicht nur selbst eine der ersten Karrierefrauen in dem bis dahin weitgehend männlich dominierten Anwaltsstand, sie gab auch Kurse über "Frauen und Recht" an der Katholischen Universität von Washington. Vor allem aber war Born eine Expertin für internationales Handelsrecht. Deswegen machte sie US-Präsident Bill Clinton 1996 zur Chefin der Commodity Futures Trading Commission (CFTC).
Diese Kommission war ursprünglich gegründet worden, um den Handel mit Terminkontrakten auf Weizen, Mais, Soja und andere Agrarrohstoffe zu regulieren. Als Born ihr Amt antrat, ging es bei diesen Terminkontrakten jedoch längst um viel mehr. Eine regelrechte Revolution war im Gange, immer neue "Derivate" – der Begriff bürgerte sich damals ein – wurden erfunden. Viele wurden als "Over-the-Counter" oder OTC-Geschäfte direkt zwischen Geschäftspartnern vereinbart; sie waren so speziell, dass sich dafür gar kein Marktpreis bildete. 1997 tauchte ein neues Instrument mit Namen "Credit Default Swap" (CDS) auf – eine Art Versicherung gegen die Zahlungsunfähigkeit von Anleihe-Emittenten. Der Markt hatte damals schon ein Volumen von 28 Billionen Dollar; er sollte bis zum Ausbruch der Finanzkrise 2007 auf 600 Billionen Dollar wachsen.
"Es gab keine Transparenz", erinnerte sich Born später in einem Gespräch mit dem Magazin der Universität Stanford. "Keine Marktaufsicht. Kein Regulierer wusste, was passierte. Niemand berichtete an irgendjemanden." Warnsignale gab es: Mehrere Kunden, darunter der Waschmittelkonzern Procter & Gamble, hatten die Investmentbank Bankers Trust (heute Teil der Deutschen Bank) wegen angeblich betrügerischer Praktiken im OTC-Handel verklagt.
Brooksley Born beschloss zu handeln. Am 7. Mai veröffentlichte die CFTC ein sogenanntes "Concept Release", eine Art Fragenkatalog zu den Problemen des OTC-Handels, zu dem die Fachwelt Stellung nehmen sollte. "Wir wollen sicherstellen, dass unsere Regulierung angemessen bleibt angesichts der Veränderungen, die die Finanzmärkte in den letzten fünf Jahren erlebt haben", schrieb Born. Was dann folgte, liefert eine Erklärung dafür, warum es zehn Jahre später zur schwersten Finanz- und Wirtschaftskrise seit zwei Generationen kommen konnte. Es war ein klassisches Beispiel für Politikversagen. Die Lobby der Wall Street erhob Einspruch gegen Born, und alle Verantwortlichen in Washington knickten ein. Mehr noch: Sie hinderten die CFTC sogar daran, weitere Fragen zu dem Thema zu stellen. Notenbankpräsident Alan Greenspan, Finanzminister Robert Rubin und der Chef der Börsenaufsicht SEC, Arthur Levitt, warnten Born, ihre Initiative könne schlimme Folgen zeitigen. Rubins Stellvertreter Larry Summers, heute Wirtschaftsberater von Präsident Barack Obama, warf Born vor, ihr Konzept werfe "den Schatten der regulatorischen Unsicherheit über einen sonst blühenden Markt. Das erhöht die Risiken für die Stabilität und Wettbewerbsfähigkeit des Derivate-Marktes."
Brooksley Born sagte zwar noch vor dem Kongress aus: "Verluste aus dem Missbrauch von OTC-Derivaten oder von missbräuchlichen Verkaufspraktiken in den Derivate-Märkten können Folgen für viele Amerikaner haben." Es half nichts – der Kongress beschloss ein Gesetz, das es der CFTC förmlich untersagte, sich weiter mit dem Derivate-Thema zu befassen. Born verließ die Behörde sechs Monate später und kehrte in ihre Anwaltskanzlei zurück.
Es sollte zehn Jahre dauern, bis die Anwältin für ihre Initiative gewürdigt wurde. Im Mai 2009 erhielt sie den Mut-Preis der John-F.-Kennedy-Bibliothek in Boston für ihre "Weitsicht und prinzipienfeste Unabhängigkeit", wie es Präsidententochter Caroline Kennedy formulierte. Born selbst mahnte in ihrer Dankesrede zum schnellen Handeln: "Wir haben jetzt die einzigartige Möglichkeit – ein schmales Zeitfenster -, um ein umfassendes Regulierungssystem zu entwerfen und umzusetzen." Einige ihrer Gegner von damals rechtfertigten sich inzwischen. Robert Rubin sagt der Washington Post, Born habe zu schnell vorgehen wollen; das sei "kontraproduktiv" gewesen. Arthur Levitt meinte, Born sei zu "harsch" aufgetreten. Marga Tucker, eine Anwältin aus Washington, sieht dagegen noch einen ganz anderen Faktor in Borns damaligem Scheitern: Probleme von Männern mit resoluten Frauen. "Der Überbringer (der schlechten Nachricht) trug einen Rock. Konnte Alan Greenspan das hinnehmen?"
Quelle: Süddeutsche Zeitung
Nr.16, Donnerstag, den 21. Januar 2010 , Seite 18
Kommentar verfassen